Eine Bürgerbefragung in Potsdam hat jetzt erneut gezeigt, dass das Internet erheblich Defizite im Blick auf eine angemessene Bürgerbeteiligung hat. In Potsdam haben sich 8,9 Prozent der Bürger für diese Option entschieden.

Bürgerbefragung Potsdam: Niedrige Internetbeteiligung und Pilotversuch gegen Abstimmungsmanipulation

Vom 23. April bis zum 7. Mai waren die Bürger in Potsdam in einer Bürgerfragung aufgerufen, über dem Neubau eines Schwimmbades abstimmen. Dazu wurde allen 130.896 stimmberechtigten Bürgern (die Wahlberechtigung gilt in Brandenburg ab 16 Jahre) per Post ein Umfrageblatt zugestellt. Es gab die Möglichkeit der Rücksendung mit einem beigefügten Antwortkouvert (das Porto zahlte die Stadt) oder mit einem einmaligen Kennwort im Internet über die Homepage der Stadt.

Obwohl Oberbürgermeister Jakobs ausdrücklich auf die Kosten der Befragung in Höhe von 110.000 €  hinwies und dies mit dem Aufruf  “Je mehr Potsdamerinnen und Potsdamer online votieren, desto preiswerter für uns alle” unterstricht, gaben nur 8,9 Prozent der Stimmberechtigten ((11.741 Stimmen) ihre Stimme im Internet ab. Insgesamt lag die Beteiligung an der Bürgerbefragung bei 52,8 Prozent. Es handelte sich um die zweite Befragung dieser Art in Potsdam. An einer Befragung zum Neubau des Landtages hatten sich im Dezember 2006 46,1 Prozent der Stimmberechtigten beteiligt. Die Möglichkeit der Online-Stimmabgabe hat also nicht bzu einer signifikanten Erhöhung der Wahlbeteiligung geführt.

Angesichts des Wahlalters ab 16 Jahren ist in diesem Zusammenhang interessant, dass die Bevölkerungsstatistik in Potsdam 2707  Bürger im Alter von “15 bis unter 18 Jahren” ausweist, 3283 18-21 jährige und 6929 21-24 jährige. Die auch im Vergleich zu dieser Zahlen überdurchschnittlich internetaffiner Jugendlicher geringe Online-Beteiligung bestätigt  empirischen Daten, nach denen das Internet nicht neues Politikinteresse mobilisiert, sondern vorhandenes verstärkt. 

Pilotcharakter hatten die Vorkehrungen der Stadt Potsdam,  Manipulationen bei der Stimmabgabe über das Internet zu verhindern. Dazu enthielt jeder Stimmzettel einen individuellen Strichcode und das einmalige  Kennwort für die Online-Abstimmung. Dadurch sollte verhindert werden, dass Online abegstimmt und zugleich der Stimmzettel per Post zurück geschickt wird. In einer Mitteilung der stadt heisst es dazu: “Die erfassungsanlage erkennt den Strichcode als bereits verwendet und zählt die zweite Stimme nicht mehr.”

Preis für dieses Verfahren ist freilich die individuelle Kennzeichung der Szimmzettel. Die Stadt versicherte dazu: “Die Auswahl welcher Brief welchen Strichcode erhält, geschieht nach dem Zufallsprinzip. Es kann nicht nachvollzogen werden, wer wie abgestimmt hat.” Dabei handelt es sich allerdings um eine politische Versicherung, denn technisch ist die Zuordnung individueller Stimmzettel zu Stimmberechtigten durchaus möglich. Hier stellen sich grundsätzliche Fragen nach der Gewährleistung des Wahlgeheimnisses.

Insgesamt entsprechen die Erfahrungen in Potsdam den Erfahrungen in Estland und der Schweiz, wo bei Wahlen die Stimmabagbe per internet möglich ist:

In Estland wurde das sog “I-Vote“ erstmals am 16. Oktober 2005 bei den Kommunalwahlen zugelassen und von 0,9 Prozent der Wahlberechtigten genutzt. Bei den nationalen Parlamentswahlen im März 2007 machten von 3,4 Prozent, bei  den Europawahlen im Juni 2009 schon 6,5 Prozent und bei den Parlamentswahlen 2011 schließlich 15,4 Prozent der Wahlberechtigten von dieser Möglichkeit Gebrauch. Dieser Zuwachs der Stimmabgabe über das Internet führte allerdings nicht zu einer Erhöhung der Wahlbeteiligung, sondern ersetzte häufig nur die bisherige Briefwahl.

Dies gilt auch für die Schweiz wo die “Vote electronique” zuletzt in den Kantonen Basel-Stadt, St. Gallen, Graubünden und Aargau  bei den Nationalratswahlen 2011 für  rund 22 000 Auslandschweizer Stimmberechtigten zugelassen war. 3500 Stimmberechtigte machten davon Gebrauch. Im Kanton Genf wurde bei den Kantonswahlen 2011 zum zweiten Mal allen Wahlberechtigten die Möglichkeit der Stimmabgabe über das Internet gegeben. Das nutzten 18,9 Prozent ohne dass dadurch die Wahlbeteiligung insgesamt gestiegen wäre. Zugleich hat sich der Kanton Zürich – seit 2004 ein E-Voting-Testgebiet der ersten Stunde –entscheiden, das Verfahren bis 2015 auszusetzen. Die Neue Züricher Zeitung berichtete am 5. Dezember 2010, der Chef des kantonalen statistischen Amtes des Kantons Zürich habe als Wahlleiter erklärt: „E-Voting hat die Erwartungen nicht erfüllt.“ Weder sei die Wahlbeteiligung insgesamt gestiegen, noch hätten mehr junge Wähler an den Abstimmungen teilgenommen. Außerdem lägen die Kosten mit 50 Franken für eine im Inland abgegebene elektronische Stimme und 150 Franken für die das E-Voting eines Auslandsschweizers unverhältnismäßig hoch. Es sei eine Überprüfungspause notwendig

(Die Nachweise für die oben genannten Zahlen aus Potsdam finden Sie hier)